Sich für oder gegen den Kauf einer Aktie zu entscheiden, ist schon schwer genug. Fast noch schwerer wird es aber, wenn man eine Aktie besitzt. Wann soll man sie wieder verkaufen? Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen?
Über diese Frage hat sich bestimmt schon jeder Anleger öfter den Kopf zerbrochen. Ich natürlich auch. Also schreibe ich mal, wie ich darüber denke.
Einfach nie verkaufen?
Manche Anleger haben auf die Frage, wann man eine Aktie verkaufen sollte, eine einfache Antwort: man sollte eine Aktie nie verkaufen!
Ihren Ursprung hat diese Ansicht wohl bei Warren Buffett. Er sagte mal: “Our preferred holding period is forever”. Die bevorzugte Halteperiode von Buffett ist also für immer, er möchte in der Regel nicht verkaufen.
In meinem Artikel 3 verbreitete Mythen über Value Investing bin ich darauf schonmal eingegangen. Buffett geht (heute) so vor. Und das hat seine Gründe. Ich halte es für die meisten Investoren aber nicht für empfehlenswert.
Buffett hält Unternehmensanteile unter anderem deshalb für immer, weil er so viel Geld anlegen muss, dass er Anteile nicht eben mal wieder zu Marktpreisen verkaufen kann. Außerdem wüsste er dann nicht wohin mit dem Geld. Gute und vor allem sehr große Investmentgelegenheiten die Buffett braucht, sind sehr selten. Besser das Geld in einem Unternehmen angelegt welches man versteht und welches regelmäßige Gewinne abwirft, auch wenn es eher teuer ist. Das Geld dauerhaft unter das Kopfkissen stopfen ist keine bessere Lösung.
Aber: dieses gewaltige Problem hat der normale Kleinanleger nicht. Er kann seine Aktien in der Regel nahezu sofort zu Marktpreisen veräußern.
Ein anderer Grund, warum Buffett Unternehmen gern für immer hält ist seine Strategie, kleine Unternehmen komplett aufzukaufen und ihnen unter dem Dach von Berkshire Hathaway ein zuhause zu geben. Es hat schon oft Fälle gegeben, dass jemand sein geliebtes Unternehmen, welches er sein ganzes Leben lang aufgebaut hat, an Berkshire Hathaway verkauft hat, obwohl andere wesentlich mehr geboten hätten. Einfach weil sie sich sicher waren, dass ihr Unternehmen bei Berkshire sinnvoll und langfristig weitergeführt wird, und nicht kurzfristig ausgepresst und dann meistbietend weiterverkauft.
Sicher eine interessante Investmentstrategie, für Kleinanleger aber sicher nicht machbar…
Zwischenfazit also: für die allermeisten Anleger halte ich die Strategie, eine Aktie für immer zu halten, für nicht sinnvoll. Wann sollte man also eine Aktie verkaufen?
Verkaufen, bevor die Aktie beginnt wieder zu fallen?
Die klügste Strategie wäre es natürlich, eine Aktie am Tiefpunkt zu kaufen und am Hochpunkt zu verkaufen. Ich sehe schon die tiefe Dankbarkeit in euren Augen für diese scharfsinnige Erkenntnis… Ich bin nicht in der Lage, Kursschwankungen vorherzusagen. Wer das kann, den beglückwünsche ich an dieser Stelle. Alle anderen sind vermutlich zu der Erkenntnis gekommen, dass man sich lieber am dahinterliegenden Wert einer Aktie orientiert, als an der Vorhersage von Kursschwankungen.
Orientieren wir uns also am Wert einer Aktie. Der Wert einer Aktie, die ja einen Unternehmensanteil darstellt, ergibt sich aus den Vorteilen, die ich als Eigentümer daraus ziehe. Dividendenzahlungen, Kapitalrückzahlungen, Liquidationserlöse – oder zumindest die Hoffnung auf solche Zahlungen irgendwann in der Zukunft. Mit so einer Herangehensweise bin ich zu einem gewissen Grad unabhängig von der Kursentwicklung. Ich halte eine Aktie, weil ich mir daraus Vorteile verspreche. Nicht aus der Hoffnung heraus, dass mir jemand anderes sie teurer wieder abkauft. Wenn das jemand tun möchte, umso besser, man kann so ein Angebot ja annehmen. Aber man ist nicht darauf angewiesen.
Letztendlich tauscht man bei dem Verkauf einer Aktie also alle zukünftigen Zahlungen an die Aktionäre gegen den Verkaufspreis. Genauso wie man andersherum beim Kauf einer Aktie den Kaufpreis gegen alle zukünftigen Ausschüttungen tauscht. Man muss also immer abwägen, was nun mehr wert ist. Sowohl bei einem Kauf, als auch bei einem Verkauf. Kauf- und Verkaufsentscheidung sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille!
Man sollte eine Aktie dann verkaufen, wenn man sie nicht kaufen würde!
Letztendlich kann man eine Verkaufsentscheidung also auf eine Kaufentscheidung zurückführen (ob es das jetzt leichter macht, sei mal dahingestellt). Wenn du darüber nachdenkst, ob du eine Aktie die du besitzt, verkaufen solltest, tu einfach folgendes. Stell dir vor, du besitzt die Aktie nicht, sondern hast Geld zum Investieren übrig. Würdest du genau diese Aktie jetzt zum aktuellen Kurs kaufen? Wenn die Antwort nicht eindeutig ja lautet, kann die einzig sinnvolle Schlussfolgerung nur lauten, dass du die Aktie verkaufen solltest.
Möglicherweise lautet die Antwort ja auch, dass du die Aktie kaufen würdest, aber nicht so viel, wie du aktuell besitzt. Zum Beispiel weil die Aktie dann einen zu großen Teil deines Depots ausmachen würde und du etwas mehr diversifizieren würdest. Welche Schlussfolgerung zieht man daraus? Richtig, die einzig sinnvolle Schlussfolgerung kann nur lauten, dass man einen Teil der Aktien verkaufen sollte, und genau so viele behalten sollte, wie man zum aktuellen Kurs kaufen würde, wenn man sie nicht hätte.
Aber was wenn die Aktie weiter steigt, wenn ich sie verkaufe?
So eine Verkaufsentscheidung ist natürlich meistens eine unschöne Sache. Verkaufen wird man in der Regel dann, wenn eine Aktie steigt und steigt. Es ist gut möglich, dass sie nach dem Verkauf noch weiter und weiter steigt. Manchmal hätte man noch 50%, 100% oder mehr zusätzlichen Gewinn machen können. Es kommt häufig vor, dass man sich in den allerwertesten beißen könnte, wenn man eine Aktie verkauft hat!
Tja, so ist das nun mal. Ich habe dafür zwei Lösungen parat. Lösung 1: schau den Kurs nicht mehr an, wenn du die Aktie verkauft hast, zumindest nicht so bald. Lösung 2: wenn deine Aktie nach dem Verkauf weiter steigt, dann such dir noch eine andere Aktie raus die du nicht besitzt, und die noch stärker gestiegen ist. Ja, du verpasst jeden Tag haufenweise tolle Chancen. So oder so… Daran wirst du nichts ändern, solange du Kursverläufe nicht vorhersagen kannst. Und das wirst du nie können ;) Aktien nicht verkaufen weil sie weiter steigen könnten, ändert daran nichts.
Die Verlockung des Trailing Stop
Es gibt natürlich auch vermeintliche Lösungen für das Problem, dass Aktien nach dem Verkauf weiter steigen können: eine Trailing Stop Order. Dabei platziert man gewissermaßen eine Stop Order. Diese ist jedoch nicht fest, sondern wird bei steigendem Aktienkurs automatisch nachgezogen. Nicht jedoch wieder nach unten gesetzt. Das Argument: statt eine Aktie zu verkaufen, setzt man einen Trailing Stop. So kann man von steigenden Aktienkursen weiterhin profitieren, wird aber gleichzeitig davor geschützt, dass die Aktie wieder fallen könnte.
Was sich toll anhört, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber leider als Illusion. Natürlich kann es sein, dass man einen Trailing Stop z.B. 10% unter den aktuellen Kurs setzt und die Aktie dann erstmal ohne größere Rücksetzer um 50% steigt, dann wieder fällt und man schließlich mit 40% zusätzlichem Gewinn aussteigt. Genauso kann es aber sein, dass der Aktienkurs relativ bald fällt, und man mit 10% weniger Gewinn als bei einem sofortigen Verkauf aussteigt. Das ist sogar garnicht mal so unwahrscheinlich, denn 10% Kursbewegung gehen recht schnell. Natürlich kann man den Trailing Stop auch 20% unter den aktuellen Kurs setzen, dann verringert sich das Verlustrisiko. Gleichzeitig aber auch die Größe des Verlustes im Fall des Falles.
Wer daran zweifelt, beweise mir gerne das Gegenteil: aber das Verwenden von Trailing Stops ist ein Nullsummenspiel – kaum besser als im Casino auf Schwarz oder Rot zu setzen.
Fazit
Ob man eine Aktie verkaufen sollte oder nicht, ist eine glasklare Entscheidung. Verkaufen wenn man nicht kaufen würde. Natürlich ist auch diese Frage nicht leicht zu beantworten, aber eine Verkaufsentscheidung ist definitiv nicht schwerer zu fällen als eine Kaufentscheidung.
Wie kommt es dann, dass vielen eine Verkaufsentscheidung schwerer fällt als eine Kaufentscheidung? Der Grund ist vermutlich wie so oft der für die Börse nur unzureichend gerüstete menschliche Denkapparat. Investitionsentscheidungen sollte man klar logisch mit Fakten begründen und sich nicht von Emotionen leiten lassen. Das ist bei einer Kaufentscheidung schon schwer genug. Aber wenn man eine Aktie erstmal eine zeitlang gehalten hat, fällt es manchmal schwer loszulassen. Jeder hat wahrscheinlich so seine Lieblingsaktien, die er am liebsten nicht wieder hergeben würde. Verständlich, aber finanziell nicht vorteilhaft.
Mein Rat also: versuche die Emotionen bei einer Verkaufsentscheidung auszuschalten. Würdest du die Aktie zum aktuellen Kurs kaufen? Beantworte diese Frage basierend auf Fakten. Wenn nicht, dann verkaufe.
Zugegebenermaßen: das alles fällt mir selbst nicht immer leicht. Aber wenn man sich das zumindest hin und wieder ins Gedächtnis ruft, erleichtert man sich die Entscheidung etwas.
- Die besten Investmentbücher
- Aktien finden mit ValueStockScreener.com
- Bewertung von Unternehmen (DCF oder DDM?)
- Welche Risikoprämie bei der Aktienbewertung?
- Aktienanalysen
- unterbewertete Aktien finden