Agroton - ein ukrainisches Agrarunternehmen zum Ramschpreis

29. July 2013 -   -  Stefan Mohr

Ich bin immer wieder erstaunt, was meine Leser so für exotische aber äußerst interessante Investments aufspüren. Leider schaffe ich es bei weitem nicht immer, mir diese auch genauer anzusehen. Aber wenn die Sache auf den ersten Blick interessant erscheint, dann investiere ich durchaus mal einige Stunden oder auch mehr. Und wenn ich dann noch immer nicht das Interesse verloren habe, möchte ich euch diese Entdeckung natürlich nicht vorenthalten.

Agroton – ein ukrainisches Agrarunternehmen

Auch wenn das Mutterunternehmen, die Agroton Public Ltd. in Zypern registriert ist: operativ tätig ist Agroton in der Ukraine. Die Aktien von Agroton sind seit 2009 in Frankfurt gelistet, 2010 erfolgte außerdem ein IPO an der Börse Warschau.

Agroton ist das sechstgrößte börsennotierte europäische Agrarunternehmen, wenn man die bewirtschaftete Fläche als Maßzahl nimmt (Stand 2011). Wichtigste Geschäftsfelder sind der Anbau von Weizen und Sonnenblumen. Aber auch Viehzucht ist mit 20% der Umsätze nicht ganz unbedeutend.

Agroton ist übrigens in in festen Händen: 51% der Anteile sind in den Händen des Firmengründers Iurii Zhuravlev.

Kurzüberblick Unternehmenszahlen

Zunächst ein kurzer Überblick über einige wichtige Zahlen von Agroton:

Marktkapitalisierung: 8,2 Mio. € (bei einem Kurs von 0,38€/Aktie)

31.12.2012 in Mio. €
Aktiva
Sachanlagen 33,8
Landnutzungsrechte 33,1
biologische Vermögenswerte 13,4
Vorrauszahlungen für Unternehmenserwerbe u.ä. 45,3
Vorräte 44,8
Cash 9,8
Passiva
Eigenkapital 126
Finanzschulden 52

Also wenn das nicht billig aussieht. Die Aktie wird für 6,5% des Eigenkapitals gehandelt. Und in den Vermögenswerten ist kein Goodwill oder ähnliches vorhanden.

Meistens ist so etwas ein klares Zeichen für hohe Verluste. Aber Agroton war in der Vergangenheit durchaus profitabel, und auch das Geschäftsjahr 2013 brachte keine großen Verluste o.ä. Hier ein Überblick über die GuV. Natülich sind das alles andere als stabile Gewinne. Aber auch das erscheint extrem günstig, wenn man sich den Kaufpreis von 8,2 Mio. € vor Augen führt.

in Mio. € 2012 2011 2010 2009 2008 2007
Umsatz 88 100 57 55 76 52
EBIT 16,4 6,0 29,4 16,6 4,8 18,8
Jahresüberschuss 8,1 0,3 15,8 5 -18,9 14,6

Wo ist der Haken?

Gut, kommen wir nun zum Haken. Die Konzernholding ist in Zypern beheimatet und besitzt unter anderem bei zypriotischen Banken Konten. War da nicht was? Richtig, wer Einlagen bei einer zypriotischen Bank hatte, ist doch ein wenig Geld losgeworden oder?

Genau das ist der Fall. Zum relevanten Zeitpunkt hatte Agroton Einlagen von 4,5 Mio. $ bei der Bank of Cyprus. 1,6 Mio. $ davon wurden in Aktien der Bank of Cyprus umgewandelt. 1 Mio. $ wurde abgeschrieben und über die restlichen 1,9 Mio. $ kann das Unternehmen derzeit nicht verfügen.

Das scheint erstmal unschön, aber nicht wirklich dramatisch. 4,5 Mio. $ sollten doch für ein Unternehmen dieser Größe notfalls verschmerzbar sein? Das Problem ist, dass gleichzeitig durch schlechte Wetterbedingungen im Jahr 2013 relativ schlechte Erträge erwirtschaftet wurde.

Beides gleichzeitig bringt Agroton in Liquiditätsschwierigkeiten. Und so wurde die halbjährliche Zinszahlung auf ausstehende Anleihen mit einem Volumen von 50 Mio. $ mit einem Koupon von 12,5% ausgesetzt. Am 06. August soll eine Versammlung der Anleihegläubiger stattfinden, um die Konditionen der Anleihe neu zu verhandeln.

Hier gibt es zwei offizielle Meldungen dazu vom 16.07.2013 und vom 17.07.2013.

So schlimm wie es aussieht?

Also nennen wirs beim Namen: Agroton ist zahlungsunfähig. Vielleicht ein guter Grund für den sehr niedrigen Aktienkurs. Aber ist das wirklich so schlimm wie es aussieht? Immerhin sind eine Menge Vermögenswerte vorhanden und die Eigenkapitalquote ist mit 67% recht hoch. Ob der bilanziell angesetzte Wert voll realisiert werden kann ist fraglich. Aber um aus der aktuellen Misere herauszukommen, müsste das Unternehmen ja nicht komplett liquidiert werden. Es würde ausreichen, einige Vermögenswerte wie Landnutzungsrechte an eines der vielen anderen ukrainischen Agrarunternehmen zu veräußern.

Und die aktuelle Ertragsschwäche dürfte wohl eher vorrübergehender Natur sein. So etwas ist durchaus normal bei Agrarunternehmen. Nicht jedes Jahr wird die Ernte schlecht ausfallen…

Ich kann nicht sagen was passieren wird und wie das Ganze gelöst wird. Aber dass das Eigenkapital von Agroton jetzt plötzlich fast nichts mehr wert sein soll, scheint mir unvorstellbar.

weitere Infos über Agroton

Sollte man sich nun dazu entscheiden, ein kleines Investment in Agroton zu riskieren, wird man also Anteilseigner. Grund genug, sich etwas mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen.

Ob sich die aktuellen Probleme schnell lösen und der Kurs zügig wieder steigt, weiß ich nicht. Anfang des Jahres, vor dem Zypern-Drama, wurde Agroton mit etwa 50 Mio. € an der Börse gehandelt, also mehr als das 5-fache des heutigen Preises, aber noch deutlich unter Eigenkapital. 2010/2011 lagen die Kurse aber auch schon deutlich höher.

Was ist denn Agroton nun wert? Wenn die aktuellen Probleme gelöst werden, wohl deutlich mehr als der aktuelle Kurs. Aber wie viel mehr? Das wäre wichtig um einzuschätzen, wie groß die Chancen dieses Investments sind, die Risiken sind schließlich keineswegs zu vernachlässigen.

Um es gleich vorwegzunehmen, die Einschätzung wird hier nicht einfach. Aber ich trage an dieser Stelle mal einige Informationen zusammen, die dabei helfen könnten.

hohe Inflation – hohe Fremdkapitalzinsen

Zunächst mal sollte man sich klarmachen, dass Agroton für westeuropäische Verhältnisse exorbitante Zinsen zahlt. Auf oben genannte US-$ beispielsweise 12,5% p.a. Auf Bankverbindlichkeiten die auf ukrainischen Hrywnja lauten, sogar 18%.
Gerade die hohen Zinsen auf Hrywnja-Verbindlichkeiten hängen aber natürlich auch mit der hohen Inflation in der Ukraine zusammen. Diese lag seit dem Jahr 2000 fast durchgängig bei 10% oder teilweise noch deutlich darüber. Seit 2012 ist sie allerdings auf Null gefallen. Wie lange das anhält wird sich rausstellen. Aber erstmal ist das natürlich schlecht für Agroton, das sie weiterhin hohe Zinsen zahlen aber die Schulden nicht durch Inflation entwertet werden. Auf der anderen Seite (Finanzschulden von Agroton haben eher kurze Laufzeiten) können Anschlussfinanzierungen vielleicht dann zu besseren Konditionen abgeschlossen werden. Natürlich nur, wenn die aktuellen Probleme überwunden werden. Denn aktuell würde Agroton wohl wenn überhaupt nur Darlehen zu noch höheren Zinsen bekommen…

Details der Gewinn- und Verlustrechnung

Bei der Betrachtung der Gewinn- und Verlustrechnung sollte man einige Dinge beachten, um die Zahlen richtig einschätzen zu können. Hier eine kurze, mit Sicherheit unvollständige, Auflistung:

  • 2011 wurden eine Menge Forderungen abgeschrieben, 2012 wurde ein Großteil dieser Abschreibung (7,3 Mio. €) wieder rückgängig gemacht. 2011 war also entsprechend besser als der Jahresüberschuss impliziert, 2012 um den gleichen Betrag schlechter
  • 2008 kam es zwischenzeitlich zu Inflationsraten jenseits von 30%, der Wechselkurs des Hrywnja wertete in diesem Jahr gegenüber dem Euro um 35% ab (und hat sich auch seitdem nicht wieder erholt). Im Euro-Abschluss wurden daher Fremdwährungsverluste von 14 Mio. € ausgewiesen. Eindeutig ein Sondereffekt, auch wenn es keine Garantie gibt, dass das nie wieder passiert
  • kein Sondereffekt ist dagegen die Steuer auf Gewinne die durchgängig nahezu Null beträgt. Dazu im Geschäftsbericht: The majority of Groups entities are registered as tax payers of fixed agricultural tax and therefore are not payers of corporate tax. Gleiches ist also auch in Zukunft zu erwarten.
  • ebenfalls keine Sorgen muss man sich bei den biologischen Vermögenswerten machen. Diese sind bei Agroton weitestgehend recht kurzfristiger Natur. Die Gewinne aus Net change in fair value less cost to sell of biological assets entsprechen den Pflanzen und Tieren die wachsen und damit wertvoller werden. Sollte diese Schätzung ungenau sein, hat das aber keinen großen Effekt. Denn die meisten biologischen Assets werden in der Berichtsperiode geerntet und die gebuchten Gewinne dann als Materialaufwand erfasst. Aufgeschlüsselt zu finden als Decrease in biological assets in der Cashflow-Rechnung (In der GuV ist dieser Posten Teil der Cost of Sales). Zur Problematik der Bilanzierung langfristiger biologischer Vermögenswerte siehe auch Artikel über SIPH

Profitabilität: ok, aber nicht berauschend

Der Wert eines Unternehmens, welches durchschnittliche Renditen auf das Eigenkapital verdient, sollte auch dem Eigenkapital entspprechen. Wie sieht das bei Agroton aus? Aufgrund der nicht vernachlässigbaren Finanzverschuldung, macht es Sinn sich den Return on Invested Capital (= EBIT / (Eigenkapital + verzinsliches Fremdkapital – Cash)) anzusehen.

2012 2011 2010 2009 2008 2007
ROIC 9,7% 3,8% 24,1% 22,6% 7,2% 21,3%
Durchschnitt 14,8%

Im verwendeten EBIT ist übrigens nicht das Fremdwährungsergebnis enthalten, dieses geht erst mit dem Finanzergebnis in das EBT ein. Entscheidend sind natürlich nicht die vergangenen sondern die zukünftigen Werte. Wie diese aussehen werden, lässt sich anhand eines recht stark schwankenden Ergebnisses der letzten 6 Jahre schwer vorhersagen.
Aber wenn man sich den durchschnittlichen Wert der letzten Jahre von 14,8% ansieht, dann würde ich sagen dass dieser Wert eher durchwachsen ist. Unter anderen Bedingungen wäre dieser Wert durchaus in Orndung. Wenn man jedoch bedenkt, dass Agroton auf Dollar-Fremdkapital 12,5% p.a. zahlt, relativiert sich dieser Wert etwas. Als Eigenkapitalgeber trägt man schließlich größere Risiken und sollte entsprechend einen höheren Ertrag verlangen, als die Fremdkapitalgeber.

Vor diesem Hintergrund würde ich die Profitabilität von Agroton eher nicht als überdurchschnittlich einschätzen. Das wäre zugegebenermaßen auch unwahrscheinlich. Wie soll sich ein Agrarunternehmen dauerhaft von der Konkurrenz absetzen?

Fazit

Also nun investieren oder nicht? Wenn alles gut geht, stehen die Chancen denke ich gut, dass Agroton irgendwas zwischen 50 und 100 Mio. € wert ist. Und wenn nicht? Und wie wahrscheinlich ist ein deutlich schlechterer Fall? Was man auch bedenken sollte: selbst wenn im Falle einer Zerschlagung noch einer ansehnlicher Betrag für die Aktionäre übrigbleiben sollte, wird sich das wohl über Jahre hinziehen, bis man mal wieder an sein Geld kommt.

Also wenn man sich entschließen sollte hier zu investieren, dann würde ich einen recht kleinen Betrag empfehlen. Für mich wären 3 bis 5% des Depots eine tragbare Größe.

Ob ich investieren werde weiß ich noch nicht. Ich habe ehrlich gesagt wenig Erfahrung mit Unternehmen die in akuten Zahlungsschwierigkeiten stecken und fühle mich daher etwas unsicher. Möglicherweise sehe ich das alles etwas zu positiv? Vielleicht werde ich das Geschehen auch nur von der Seitenlinie aus betrachten und hoffentlich auch so etwas daraus lernen…

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