Es gibt einige Unternehmen, die eine Menge flüssige Mittel, sprich Zahlungsmittel oder Cash, horten. Fielmann, Bijou Brigitte, Microsoft… Das sind nur einige Beispiele die mir spontan einfallen.
Wie bewertet man solche Unternehmen?
Mutlipliziere die geschätzte Ertragskraft mit einem Multiplikator und addiere die Höhe der flüssigen Mittel.
So oder so ähnlich schätzt man den Wert solcher Unternehmen oft ab. So ganz falsch ist dieser Ansatz ja nicht. Immerhin könnten die flüssigen Mittel als Dividende ausgezahlt werden und würden dem Aktionär so direkt zugute kommen. Entsprechend kann man für solche Unternehmen, die viele flüssige Mittel halten, mehr zahlen, als wenn sie diese flüssigen Mittel nicht besitzen würden.
Trotzdem gibt es einige Dinge die es zu beachten gilt, da man mit dem oben genannten Ansatz den Wert eines Unternehmens auch leicht überschätzen kann.
1. durch die Zinserträge zählt man Wert doppelt
Fangen wir mit dem am wenigsten dramatischen Fehler an. Bei der Schätzung der Ertragskraft geht man in der Regel von den Unternehmensgewinnen der Vergangenheit aus. Wenn ein Unternehmen über viele Jahre bedeutende flüssige Mittel hält, sind die Zinserträge daraus natürlich im Jahresüberschuss enthalten. Schreibt man die Unternehmensgewinne nun in die Zukunft fort, lässt man diese Zinserträge also in den berechneten Unternehmenswert einfließen. Wenn man nun noch zusätzlich den überschüssigen Cash zum Unternehmenswert addiert, hat man also doppelt gezählt. Bei der Schätzung der Ertragskraft eines Unternehmens sollte man also nur die Gewinne, das das wirkliche Kernunternehmen generiert betrachten.
Warum ist dieser Fehler nicht allzu dramatisch? Weil die Zinsen für kurzfristige Anlagen, insbesondere in der aktuellen Niedrigzinsphase, recht gering sind. Der Unterschied dürfte sich im berechneten Unternehmenswert also nicht allzu sehr niederschlagen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass jede Bestimmung eines Unternehmenswertes naturgemäß nicht mehr als eine grobe Schätzung sein kann. Trotzdem sollte man das im Hinterkopf behalten.
2. Schulden?
Eine weitere Sache, die man sich ansehen sollte ist, ob das Unternehmen eine nennenswerte Finanzverschuldung aufweist. Also Schulden, auf die Zinsen gezahlt werden müssen, wie z.B. Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, ausstehende Anleihen u.ä.
Denn was bringt es einem Unternehmen, wenn es 10 Mio. € Cash besitzt und gleichzeitig 10 Mio. € Schulden hat? Werden die Schulden mit dem Cash getilgt, dann ist das Unternehmen schuldenfrei. So wie man das als konservativer Anleger gerne hat. Die überschüssigen Cashbeträge stehen dann aber natürlich nicht mehr für Ausschüttungen o.ä. zur Verfügung.
Natürlich kann das Unternehmen die vorhandene Finanzverschuldung auch beibehalten und den Cash ausschütten. Aber man sollte sich überlegen, ob das dann wirklich wertschaffend ist. Ist nicht ein mit mehr Fremdkapital finanziertes Unternehmen für die Aktionäre weniger wert, als eines, welches mit weniger Fremdkapital finanziert ist? Ich denke schon, immerhin erhöht Fremdkapital das Risiko. Es scheint mir daher sinnvoller, bei der Betrachtung von überschüssigem Cash nur den Net Cash zu betrachten. Also den Betrag, um den die vorhandenen flüssigen Mittel die Finanzverschuldung übersteigen.
3. Sind die flüssigen Mittel wirklich “übschüssig”?
Eine weitere Frage bei Cashbeständen ist: werden diese wirklich dauerhaft nicht für den normalen Geschäftsbetrieb benötigt? Ich habe diese Frage selbst bereits in einigen Artikeln ausgeblendet und wurde von Lesern berechtigterweise darauf hingewiesen.
Jedes Unternehmen benötigt für den Geschäftsbetrieb eine gewisse Menge an Zahlungsmitteln. Meist sind diese im Verhältnis zum gesamten Unternehmenswert nicht allzu groß, so dass der Fehler, den man bei der Bewertung macht vielleicht tolerierbar ist. Aber in einigen Sondersituationen kann man sich hier stark verschätzen.
Der Cashbestand in der Bilanz wird naturgemäß zu einem bestimmten Stichtag ausgewiesen. Aber heißt das, dass die Situation während dem gesamten Geschäftsjahr so sein muss? Möglicherweise sind die Vorräte zum Bilanzstichtag ja aufgrund saisonaler Schwankungen immer sehr gering. Dann benötigt das Unternehmen während dem folgenden Geschäftsjahr Zahlungsmittel, um den Vorratsbestand wieder aufzubauen.
Aber auch aufgrund bestimmter nicht regelmäßiger Ereignisse kann sich bei Unternehmen ein größerer Cashbestand ansammeln, der recht zeitnah wieder benötigt wird. Ein Phänomen, welches während der Finanzkrise z.B. bei einigen Unternehmen auftrat, war folgendes: die Umsätze brachen ein. Dementsprechend verringerten sich die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Auch das Vorratsvermögen konnte teilweise an den geringeren Bedarf angepasst werden. Solange das Unternehmen profitabel blieb, konnte so der Cashbestand deutlich erhöht werden. Wer das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bewertet hat und die Cashbestände einfach als nicht betriebsnotwendig angenommen hat, ist Gefahr gelaufen, den Unternehmenswert zu überschätzen. Denn die Zahlungsmittel wurden bei der folgenden Erholung der Umsätze natürlich wieder zur Erhöhung des Working Capital benötigt.
4. werden die flüssigen Mittel sinnvoll verwendet?
Nun zum letzten Fehler den man machen kann. Und dieser ist denke ich der wichtigste. Wenn ein Unternehmen flüssige Mittel hält, werden diese in Zukunft sinnvoll verwendet? Denn nur dann tragen sie zu einer Wertschaffung für die Aktionäre bei. Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Aber daraus, wie sinnvoll ein Unternehmen das Geld der Aktionäre in der Vergangenheit eingesetzt hat, lässt sich vielleicht eine Vorhersage wagen.
Nennen wir einfach mal ein paar Negativbeispiele:
Cashbestände verleiten viele Vorstände leider dazu, teure Übernahmen zu tätigen. Nichts gegen Übernahmen, aber wenn der Preis zu hoch ist, verlieren eben die Aktionäre des kaufenden Unternehmens und die Aktionäre des übernommenen Unternehmens gewinnen.
Beliebt ist es auch, einfach untätig zu sein und die Cashbestände immer weiter anwachsen zu lassen, obwohl eine sinnvolle Nutzung nicht ansehbar ist. Solange es einem Unternehmen gut geht und die Dividende immer weiter erhöht wird, wird das von den Aktionären als konservative und sicherheitsbewusste Unternehmenspolitik gefeiert (Fielmann). Sobald es nicht mehr so rosig aussieht und gar der Aktienkurs fällt, fangen Aktionäre an Sturm zu laufen ob dieser aktionärsfeindlichen Unternehmenspolitik (Bijou Brigitte). Wertschaffend ist das halten übermäßig großer und schlecht verzinster Cashbestände wohl in beiden Fällen nicht.
Als Zyniker könnte man in solchen Fällen den gesamten Cashbestand als wertlos ansehen und noch dazu sämtliche Gewinne, die nicht als Dividende ausgeschüttet werden. Realisten sehen vielleicht wenigstens einen gewissen Sicherheitsgewinn und messen den flüssigen Mitteln einen gewissen Wert bei. Träumer erwarten sicher eine baldige Änderung der Unternehmenspolitik (manchmal gehen Träume tatsächlich in Erfüllung).
Fazit
Ein Unternehmen mit einem Cashbestand, ist definitiv mehr wert, als ein Unternehmen ohne diesen. Wichtig ist es abzuschätzen, welcher Teil der flüssigen Mittel tatsächlich überschüssig ist, also für den normalen Geschäftsbetrieb nicht benötigt wird. Hat man diesen Anteil identifiziert, gilt es zu entscheiden, wie viel dieser wert ist. Zwischen 0 und 100% der Bilanzposition können sinnvoll sein. Je nachdem, wie gut ein Unternehmen diese Zahlungsmittel einsetzt. Eine Abschätzung ist hier sicher sehr schwierig. Aber einfach mit 100% zu rechnen, ist wohl in vielen Fällen zu optimistisch.
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— Martin · 20. August 2012, 10:42 · #
Bezüglich Schulden finde ich auch den Fall Siemens interessant:
Cash wird nicht benutzt, um Schulden zurückzubezahlen. Es werden stattdessen langfristige Schulden aufgenommen und Aktien zurückgekauft. Die Fremdkapitalkosten für Siemens sind schon fast unter Inflation, wenn man sich die Renditen der Euro-Anleihen anschaut. In der heutigen Situation macht dann das Tilgen einfach keinen Sinn.
Gleiches gilt auch für Firmen wie IBM (1.875%, 10 Jahre). Da heißt es schon fast: Je mehr Schulden, desto stabiler die Firma.
— Roman · 21. August 2012, 09:52 · #
Hi Martin,
ich habe mir zu dem Siemens Aktienrückkauf auf Kredit auch so meine Gedanken gemacht. ich bin noch nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen. Ist das intelligent oder schlau? Klar, der Zins ist niedrig (für den Zins würde ich wahrscheinlich auch einen Kredit aufnehmen und Aktien kaufen), allerdings finde ich das schon etwas Grotesk. Schulden machen, Dividenden Zahlen, Aktien zurückkaufen. Gut Siemens hat eine Banklizenz, ich denke die sollten sich lieber auf ihr Kerngeschäft konzentrieren als sich als Finanzjongleure aufzuspielen. Ich kann mich irren, allerdings lasse ich von solchen Firmen die Finger. Hat noch jemand dazu eine MEinung?
— Martin · 21. August 2012, 20:14 · #
Am Markt scheint die Aktion von Siemens gut angekommen zu sein.
Es ist nur interessant, was bei den niedrigen Zinsen so alles möglich ist. Da gibt es eben auch mal solche abweichende Sonderfälle von den wie immer gut geschriebenen Artikeln von Stefan. Denn bisher scheint es sich, gemessen am Kurs, zu lohnen, Schulden aufzunehmen und per Rückkauf an die Aktionäre auszuschütten.
— Peter · 22. August 2012, 22:35 · #
Was sagt Ihr denn zu ZhongDe Waste Technology AG?
Auf den ersten Blick gibt es viel Cash für wenig Geld. Wo liegt da der Fehler?
— Holger · 22. August 2012, 23:05 · #
Ich denke, der Einsatz von Fremdkapital für Investitionen kann durchaus wertsteigernd wirken (wenn die Fremdkapitalzinsen niedrig genug sind und die Rendite der Investition hoch genug ist). Insofern: Warum sollte ein Rückkauf eigener Aktien auf Kredit nicht sinnvoll sein können? Letztlich ist der Kauf von Aktien schließlich eine Investition wie jede andere. Und wenn ein Unternehmen Kredite aufnimmt, um Anlagen zu kaufen, stellt das auch niemand grundsätzlich in Frage.
Deshalb bin ich auch nicht ganz einverstanden mit Deinem Punkt 2, Stefan: Ein Unternehmen kann m. E. durchaus auch zu wenig Fremdkapital in der Bilanz haben. Schließlich erhöht FK potenziell nicht nur das Risiko, sondern auch die EK-Rendite.
— Stefan Mohr · 23. August 2012, 18:49 · #
Nochmal zum Thema Fremdkapital und Cash:
Ich denke schon, dass der Einsatz von Fremdkapital sinnvoll sein kann. Aber der Effekt ist eben grundsätzlich:
* Die Eigenkapitalrendite steigt, solange die Fremdkapitalzinsen unter der Eigenkapitalrendite liegen
* Die Schwankung der Gewinne und das Risiko einer Insolvenz des Unternehmens nehmen zu
Letztendlich muss also denke ich jedes Unternehmen abwägen, welcher Effekt stärker zu bewerten ist und so ein vernünftiges Maß für das einzusetzende verzinsliche Fremdkapital finden. Es ist denke ich verdammt schwierig zu bestimmen, wo hier das Optimum liegt und es liegt wohl auch bei jedem Unternehmen woanders.
Aber bezüglich des Unternehmenswertes würde ich folgende Überlegung anstellen:
Nimmt ein Unternehmen Schulden auf und hat diesen Betrag dann als Cash auf dem Konto liegen, dann ist es hinterher definitiv nicht um den Cashbetrag mehr wert. Wenn das so wäre, würde wohl jedes Unternehmen so viele Schulden wie nur irgendwie möglich aufnehmen.
ZhongDe könnte ich mir bei Gelegenheit eigentlich mal im Friday Small Cap Check ansehen…
— Holger · 24. August 2012, 17:38 · #
Hallo Stefan,
so macht das natürlich Sinn. Da hatte ich die entsprechenden Sätze wohl ein bisschen zu wenig auf den Kontext bezogen, in dem sie standen.
— funktionaler Bewerter · 24. August 2012, 22:25 · #
Die Eigenkapitalrendite steigt, solange die Fremdkapitalzinsen unter der Eigenkapitalrendite liegen
???
Es müsste heißen: Die Eigenkapitalrendite steigt durch zusätzliche Verschuldung, solange die Fremdkapitalzinsen unter der Gesamtkapitalrendite liegt. Außerdem liegt in der obigen Aussage das Zirkularitätsproblem vor.
— Stefan Mohr · 24. August 2012, 23:19 · #
@funktionaler Bewerter
Vielen Dank für die Ergänzung, ist natürlich völlig richtig. Meine Aussage war etwas unvollständig ;)