Net Current Asset Value - Aktien unter Liquidationswert kaufen

25. April 2013 -   -  Stefan Mohr

In meinen Artikeln nutze ich bei der Bewertung von Aktien öfter den Begriff Net Current Asset Value. Neben dem KBV und dem KGV ist das Verhältnis von Kurs und Net Current Asset Value die Kennzahl, die ich mir am häufigsten ansehe, um mir eine Meinung darüber zu bilden, ob eine Aktie billig oder teuer ist. Da ich nicht davon ausgehe, dass dieser Begriff zum Allgemeinwissen gehört, möchte ich an dieser Stelle mal näher darauf eingehen.
Zusätzlich werde ich auch noch einige weitergehende Gedanken äußern, die ich bei der Bewertung von Unternehmen mit dem Net Current Asset Value für wichtig halte.

Was ist der Net Current Asset Value?

Der Begriff Net Current Asset Value wurde von Benjamin Graham geprägt. Im deutschen könnte man diesen vielleicht mit Nettowert des Umlaufvermögens umschreiben. Unternehmen, die für weniger als den Net Current Asset Value gehandelt werden, werden auch als Net-Nets bezeichnet.

Berechnet wird der Net Current Asset Value folgendermaßen:

kurzfristige Vermögenswerte
– sämtliche Schulden
———————————
Net Current Asset Value

Was ist der Sinn hinter dieser Berechnung?
Jeder Vermögenswert eines Unternehmens steht mit einem bestimmten Wertansatz in der Bilanz. Nur bei den kurzfristigen Vermögenswerten, also dem Umlaufvermögen, ist es jedoch relativ sicher, dass dieses bei Bedarf relativ schnell und zumindest etwa zu dem Wert, der in der Bilanz steht, veräußert werden kann. Bei Zahlungsmitteln ist der Wertansatz am sichersten, hier muss garnicht erst etwas veräußert werden. Kurzfristige Forderungen können in der Regel recht schnell realisiert werden. Und auch Vorräte sind meist recht schnell ohne große Wertverluste veräußerbar. Bei den langfristigen Vermögenswerten ist es dagegen meist recht unsicher, ob diese wirklich zum Wertansatz in der Bilanz veräußert werden können.

Eine Sonderrolle nehmen Wertpapiere oder Aktien ein, wenn diese im Anlagevermögen ausgewiesen sind, weil sie langfristig gehalten werden sollen, aber kurzfristig an einer Börse zu Marktpreisen verkauft werden könnten. Diese sollte man bei der Berechnung des Net Current Asset Value auf die kurzfristigen Vermögenswerte aufschlagen.

Auf der anderen Seite sollte man natürlich auch das Umlaufvermögen kritisch hinterfragen. Manchmal sind hier Vermögenswerte enthalten, die kurzfristig veräußert werden sollen, aber trotzdem eher den Charakter von langfristigen Vermögenswerten haben. Beispiel dafür sind Grundstücke oder Immobilien. Auch wenn solche kurzfristig veräußert werden sollen, ist es oft ungewiss, zu welchem Preis das möglich ist. (Die Adler Real Estate AG ist ein Beispiel, bei der das letztes Jahr zu beachten galt). In solchen Fällen kann es Sinn machen, die kurzfristigen Vermögenswerte für die Berechnung des Net Current Asset Value zu bereinigen.

Auf der anderen Seite stehen nun die Schulden. Diese sind grundsätzlich real und sind in jedem Fall zurückzuzahlen.
Wenn wir ein Unternehmen sehr konservativ bewerten wollen, nehmen wir daher nur die kurzfristigen Vermögenswerte und ziehen sämtliche Schulden davon ab. Der Wert den wir dann erhalten ist ein Wert, der sich für die Aktionäre relativ schnell realisieren lässt – ein grober Schätzwert für den möglichen Liquidationswert eines Unternehmens.

Der Net Current Asset Value ist also ein Daumenwert wie viel ein Unternehmen für die Aktionäre wert wäre, wenn es nicht fortgeführt sondern liquidiert werden würde.

So wenig sollte keine Aktie wert sein (= Theorie)

Letztendlich macht es keinen Sinn, dass ein Unternehmen weniger sein sollte, als seinen Liquidationswert. Natürlich kann es vorkommen, dass ein Unternehmen dessen Geschäftsbetrieb fortgeführt wird, weniger wert ist, als den Liquidationswert. Einfach weil die Aussichten für das Unternehmen extrem schlecht sein könnten. Aber wenn das der Fall ist, dann wäre die einzig sinnvolle Maßnahme, den Geschäftsbetrieb des Unternehmens tatsächlich einzustellen und sämtliche Anlagegüter zu Geld zu machen. Dieses könnte dann entweder an die Eigentümer ausgezahlt oder genutzt werden, um in neue, aussichtsreichere Geschäftsfelder zu expandieren.

Und doch kommt es vor, dass Unternehmen unter ihrem Net Current Asset Value gehandelt werden. Gehäuft natürlich vor allem dann, wenn die Stimmung an der Börse extrem schlecht ist. Laut Benjamin Graham wurden im Jahr 1932 über 40% der an der NYSE notierten Industrieunternehmen unter dem Net Current Asset Value gehandelt. Aber auch aktuell gibt es Märkte, in denen solche Werte gehäuft auftreten: Japan beispielsweise. Aber auch in Europa und den USA lassen sich vereinzelt solche Werte finden.

Was man beim Kauf Net-Nets beachten sollte (= Praxis)

Natürlich gibt es auch wenn man Aktien für weniger als den Net Current Asset Value kauft einige Sachen die schiefgehen können. Eine Garantie für eine profitable Investition ist auch das nicht. Und doch hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass der Kauf von solchen Aktien sehr profitabel sein kann. Eine Studie die an der State University of New York durchgeführt wurde, hat beispielsweise gezeigt, dass man im Zeitraum von 1970 bis 1983 im Schnitt eine Rendite von 29,4% p.a. machen konnte, wenn man Aktien zu 2/3 ihres Net Current Asset Value gekauft hat und diese jeweils 1 Jahr gehalten hat.

Net-Nets sind meist keine Traumunternehmen

Was viele Menschen vom einfachen Anwenden einer solchen Strategie abhält, ist allerdings folgendes: Unter Net Current Asset Value wird man in der Regel kein gutes, profitables Unternehmen erhalten. Wer hofft, eine Coca-Cola, Nestlé oder Fielmann so billig zu kriegen, wird wohl ewig warten. Meist sind Unternehmen die unter Liquidationswert gehandelt werden solche, die gerade in Schwierigkeiten stecken und deren Zukunft sehr ungewiss ist. Sprich solche Aktien, die empfindlichen Gemütern den Schlaf rauben und die die meisten eben nicht haben wollen. Vermutlich ist das der Grund, warum Aktien manchmal überhaupt so billig gehandelt werden. Und doch kann es profitabel sein, solche Aktien zu kaufen. Jede Aktie, egal wie schlecht die Qualität, wird eben an irgend einem Punkt interessant. Und der Net Current Asset Value ist oft dieser Punkt, an dem auch Unternehmen geringer Qualität anfangen interessant zu werden.

Diversifikation besonders wichtig

Eines sollte natürlich klar sein: gerade bei Unternehmen die in Schwierigkeiten stecken, sind die Unsicherheiten sehr groß. Eine Aktie, die unter Net Current Asset Value gehandelt wird, mag vielleicht große Chancen bieten, aber oft auch große Risiken. Wer in Net-Nets investiert, sollte genau darüber nachdenken, wie groß die Risiken sind. Das gute ist natürlich, dass man diese Risiken senken kann, indem man stärker diversifiziert. Jemand der in Net-Nets investiert, wird für gewöhnlich eine größere Anzahl davon kaufen oder sie nur als kleinere Beimischung zum Depot verwenden.

Profitabilität nicht völlig außer acht lassen

Im Hinterkopf behalten sollte man natürlich auch, dass nicht jedes Net-Net automatisch zu billig ist. Wenn ein Unternehmen beispielsweise große Verluste macht, dann wird der Net Current Asset Value schnell sinken und der gezahlte Schnäppchenpreis stellt sich schnell als teuer heraus. Es macht also durchaus Sinn, auch bei Net-Nets einen Blick auf die langfristige Profitabilität des Unternehmens zu werfen. Zumindest dauerhafte Verlustbringer sollte man vielleicht meiden.

Veränderungen sind der Feind von profitablen Unternehmen – und der Freund von Net-Nets

Klar ist natürlich auch, dass die meisten Unternehmen die unter ihrem Liquidationswert gehandelt werden eben nicht liquidiert werden. Viele Net-Nets sind eher unprofitable Unternehmen. Es besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen mit geringer Profitabilität Jahr für Jahr so weitermacht und daher zu recht so billig gehandelt wird. Net-Nets brauchen in der Regel Veränderung, um für einen Investor profitabel zu werden. Interessant könnte es daher sein, Net-Nets zu suchen, in denen solche Veränderungen stattfinden oder bevorstehen. Insbesondere solche, die dazu führen, dass unproduktive Vermögenswerte besser genutzt werden. Beispielsweise kann das die Ankündigung eines Aktienrückkaufs sein. Oder die Aufgabe von unprofitablen Geschäftsbereichen und die Konzentrierung aufs Kerngeschäft.
Auch das Engagement eines größeren Investors oder Veränderungen in Vorstand oder Aufsichtsrat können möglicherweise bereits Vorboten von Schritten in die richtige Richtung sein.
Aber auch wenn solche Veränderungen erstmal nicht absehbar sind: so schlecht stehen die Chancen nicht, dass das früher oder später passiert, denn letztendlich liegt das im Interesse aller Eigentümer.

Verhältnis von Schulden und Vermögenswerten beachten!

Eine wichtige Sache auf die man achten sollte, ist auch das Verhältnis aus kurzfristigen Vermögenswerten und Schulden. Wenn die Schulden nur wenig kleiner als die kurzfristigen Vermögenswerten sind, dann kann der Net Current Asset Value sehr schnell schrumpfen, wenn nur einige Forderungen oder Vorräte abgeschrieben werden müssen. Dazu ein Beispiel:

Unternehmen A Unternehmen B
kurzfristige Vermögenswerten 30 200
Schulden 10 180
Net Current Asset Value 20 20

Beide Unternehmen haben einen Net Current Asset Value von 20. Was passiert aber, wenn sich bei beiden 10% der kurzfristigen Vermögenswerte als wertlos herausstellen? Bei Unternehmen A verringert sich der Net Current Asset Value dann auf 17. Bei Unternehmen B dagegen auf 0!
Sehr hohe Schulden im Verhältnis zu den kurzfristigen Vermögenswerten halte ich daher für recht problematisch bei Net-Nets.

Wie findet man Net-Nets?

Wenn man nun in Net-Nets investieren will: wie findet man diese? Leider kenne ich keinen kostenlosen Screener, mit dem man europäische Net-Nets finden kann. Es ist also mehr oder weniger Handarbeit angesagt…
Für US-Aktien gibt es da meines Wissens ein größeres Angebot, da ich dort aber bisher kaum nach Aktien gesucht habe, kenne ich mich mit Screenern für US-Aktien weniger gut aus. Kennt jemand einen guten kostenlosen Screener, mit dem man nach Net-Nets in den USA suchen kann?

In Europa ist also Handarbeit angesagt.. Es dauert recht kurz, einfach mal auf die Homepage eines Unternehmens zu gehen, den aktuellsten Geschäftsbericht herunterzuladen, sich schnell die relevanten Zahlen herauszusuchen und diese mit der aktuellen Marktkapitalisierung zu vergleichen. Wenn man das mit tausenden von Aktien machen möchte, ist man allerdings trotzdem wochenlang beschäftigt.

Einen kleinen Trick den den man anwenden kann ist folgender: Eine Aktie die unter Net Current Asset Value gehandelt wird, hat automatisch auch ein KBV unter 1. Man kann also nach Aktien mit KBV < 1 screenen und diese dann nochmal auf einen Net Current Asset Value < 1 prüfen. Das verringert die Zahl der Kandidaten zumindest schonmal… Der Financial Times Stock Screener eignet sich zum screenen nach KBV z.B. ganz gut.

Abgesehen davon kann man natürlich auch kostenpflichtige Screener verwenden. Ich hatte mal den von valuesignals.com ausprobiert, mit dem kann man auch nach Net-Nets screenen. Und das funktionierte recht gut, gerade auch für europäische Aktien inklusive Micro-Caps. Ob das einem 300 € im Jahr wert ist, sollte man sich aber gut überlegen… Ich habe für mich persönlich entschieden, dass das bei meinem recht kleinen Depot zunächst keinen Sinn macht. Die Kosten muss man schließlich erstmal wieder reinholen. Vielleicht starte ich irgendwann mal einen neuen Anlauf. Sicherlich gibt es auch noch andere kostenpflichtige Screener mit denen man nach Net-Nets suchen kann. Falls jemand hier eine Empfehlung hat, freue ich mich über einen Kommentar!

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Kommentare [9]

  1. — Roger · 25. April 2013, 15:46 · #

    Ich hätte einen solchen Wert zu bieten: CALTAGIRONE EDIDITIONE, ISIN IT0001472171 http://www.caltagironeeditore.com/english/index.php

    Viertgrößter italienischer Zeitungsverlag, u.a. Il Messagero

    Zum Jahresanfang galt:
    Aktienanzahl: 125 Mio.
    Net Cash Position 2011: 180 Mio € = 1,44€/Aktie
    Net Cash nach Q3 2012: 164 Mio € = 1,31€/Aktie
    Schulden: vernachlässigbar
    Aktienkurs: ca. 0,80€.

    Man könnte also den Verlag verschenken und die Geldrücklagen aufteilen und würde immer noch 50% Gewinn machen.

    Problem 1: Die Zeitungsbranche hat generell Probleme. Ihr ist mit dem Internet schlicht ihr Wirtschaftskonzept weggebrochen. (Trotzdem oder deswegen ist Buffet auf Einkaufstour unter amerikanischen Regionalzeitungen). Auch Caltagirone Editione macht solide Verluste, verbrennt also Jahr um Jahr etwas mehr von seinen Rücklagen.

    Problem 2: Der Hauptaltionär hält 60% der Aktien. Gegen ihn geht nichts. Und wer weiß, wie lange dieser dem Spiel noch zuschaut?

  2. — Buerlihans · 25. April 2013, 18:41 · #

    Hallo,

    für US-Aktien könnte der Screener von Interesse sein:
    http://www.grahaminvestor.com/screens/graham-ncav-stock-screen-new/

    Gruß und viel Erfolg!

  3. Andreas · 25. April 2013, 21:27 · #

    Sehr interessanter Artkel!

    Gerade die praktischen An- und Herausrechnungsposten sind wirkich sehr nützlich und beachtenswert.
    Herzlichen Dank dafür ;-)

    Freundliche Grüße
    Andreas

  4. — Solaire · 26. April 2013, 22:01 · #

    www.valueexplorer.com
    ein kostenloser Screener den ich ab und zu nutze weil er die Umsätze, Gewinne u.a. der letzten Jahre grafisch darstellt.

  5. — Covacoro · 26. April 2013, 22:28 · #

    Interessanter Artikel und gute Kommentare+Links.

  6. — hugh · 1. May 2013, 01:12 · #

    Hi,

    First, I want to say thanks for the great articles!

    I use the ft.com’s global stock screener for US and nonUS stocks. I use the enterprise value factor and look for highest negative enterprise value, then go through the list of results.. The ft.com screener covers EU stocks, and stocks in just about every country. It is free.

    Sincerely,

    Hugh

  7. — krankenhaus · 25. June 2013, 21:22 · #

    Hallo,

    ich frage mich, ob der Net Current Asset Value wirklich noch ein guter Maßstab zur Minimierung des Verlusts darstellt. Sicherlich war er das früher, aber gilt das heute auch noch?
    Du schreibst selbst, dass die Net-Nets fast nie liquidiert werden. Aber ist das nicht gerade die Idee, die dahintersteht, ein Sicherheitsnetz?

    Ich Deutschland wurde im letzten Jahr ein neues Insolvenzrecht geschaffen in Anlehnung an das amerikanische Insolvenzrecht. Es geht primär darum Arbeitsplätze zu sichern.
    Im Insolvenzfall kann und soll es einen Dept-To-Equity-Tausch geben, um die Fremdkapitalgeber zu kompensieren. Wieviel Umlaufvermögen veräußert werden könnte, spielt dann gar keine Rolle. Die Aktionäre werden einfach enteignet. Und für dieses neue Verfahren gibt es schon bekannte Beispiele.

  8. Stefan Mohr · 26. June 2013, 07:43 · #

    Naja, der Net Current Asset Value hat ja nicht nur bei einer Zwangsliquidation einen Vorteil.
    Nehmen wir an, ein Unternehmen ist in einem relativ unprofitablen Bereich tätig und will sich aus diesem zurückziehen. Ob Maschinen u.ä. dann zum Buchwert veräußert werden können ist fraglich. Das Umlaufvermögen dagegen weitestgehend schon.

    Eine Garantie ist (und war) ein hoher Net Current Asset Value sicher nie. Aber ich denke schon, dass es auch weiterhin so ist, dass man im Schnitt mit solchen Investments gut verdient…

  9. — krankenhaus · 30. July 2013, 08:19 · #

    Wenn die (neue) Insolvenz mit Dept-To-Equity-Tausch einmal offiziell angemeldet ist, ist das Spiel für den Aktionär aus: Er wird enteignet (siehe Solarworld, centrotherm etc.) – und zwar immer so das der Fremdkapitalgeber gewinnt.

    Ein Verkauf von Maschinen und Unternehmensteilen kann dann dem Unternehmen bei einer Umstrukturierung helfen, aber eben nicht mehr dem (jetzt deutlich geringer beteiligtem) Anteilseigner. Es wird eben nie alles verkauft, weil das Ziel der Insolvenz die Fortführung des Unternehmens ist.

    Im Schnitt kann mit Aktien unter Buchwert deutliche Überrenditen erzielt werden. Das ist nichts neues. Aber eben nur “im Schnitt”. Den Totalverlust einzukalkulieren unter dem Stichwort “Value Investment” halte ich für fragwürdig.

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