Warren Buffett und seine Derivate-Spekulationen

14. November 2011 -  ,  -  Stefan Mohr

Dieses Thema taucht sowohl in der Presse als auch in Diskussionen immer wieder auf. Buffett habe sich mit Derivaten verspekuliert, die ihm hohe Verluste gebracht haben. Und das, obwohl er Derivate selbst mal als finanzielle Massenvernichtungswaffen bezeichnet hat. Was ist dran? Stimmt das? Schauen wir uns das Ganze mal genauer an.

Wer übrigens Primärquellen bevorzugt, dem sei an dieser Stelle der Berkshire Hathaway Shareholder Letter 2008 empfohlen. Auf Seite 16-18 beschreibt Buffett hier Gefahren von Derivaten. Seiten 18-20 geben einen Überblick über die Derivate von Berkshire Hathaway und die Gedanken, die sich Buffett darüber gemacht hat. Auf Seite 20/21 schließlich legt Warren Buffett dar, warum er die Bewertung von Derivaten nach dem Black-Scholes Modell für falsch hält.

Für alle, die das Thema kurz zusammengefasst haben wollen und/oder kein Englisch lesen wollen, folgt hier mal eine Betrachtung der Derivate von Berkshire Hathaway.

Um welche Derivate geht es?

Die Derivate, um die es sich handelt, sind vor allem Put-Optionen auf große Indizes (S&P500, FTSE100, Euro Stoxx 50 und Nikkei 225), die Berkshire an die Gegenparteien der Kontrakte verkauft hat. Diese Derivate enthalten folgende wesentliche Bedingungen:
  • Berkshire erhält am Anfang des Vertrages die Optionspräme (insgesamt 4,9 Mrd. $) von den Gegenparteien
  • Zum Ende der Laufzeit (zwischen 2019 und 2028) bezahlt Berkshire den Gegenparteien einen Geldbetrag, falls der jeweilige Index gefallen ist. Je nachdem, wie stark der Index gefallen ist, mehr oder weniger. Im Extremfall bis zu 37 Mrd. $, aber dafür müssten alle der 4 Indizes auf Null fallen. Die Optionsprämie kann Berkshire in jedem Fall behalten.

Wie betrachtet Buffett diese Derivate selbst?

Berkshire sieht diese Derivate als einen Versicherungsvertrag. Er erhält am Anfang der Laufzeit eine Versicherungsprämie, die er gewinnbringend anlegen kann. Dafür versichert er die Gegenparteien gegen Kursverluste der Indizes. Die “Verluste” von denen in den Medien oft gesprochen wird, welche Buffett gemacht haben soll, existieren nur auf dem Papier. Denn die Derivate laufen noch lange. Die Bilanzierungsregeln erfordern aber, dass die Derivate nach dem sogenannten Black-Scholes Modell bewertet werden. Derzeit haben die Derivate laut diesem Modell für Buffett aber einen negativen Wert, weshalb eine entsprechende Verbindlichkeit in der Bilanz vermerkt wird.

Buffett geht aber davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Indizes am Ende der Laufzeit stark gefallen sein werden, sehr gering ist. Schon alleine durch Inflation und nicht ausgezahlte Gewinne der Unternehmen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese auf lange Sicht steigen. Aber selbst wenn sie etwas fallen sollten, konnte Buffett die Optionsprämie viele Jahre lang zinsfrei nutzen und anlegen. Er ist davon überzeugt, dass die Optionsprämie, die er erhalten hat, zu hoch im Vergleich mit dem Risiko, welches er dafür tragen muss, ist. Denn auch diese Optionsprämie wird nach dem Black-Scholes Modell bestimmt, welches Buffett für unzureichend hält.

Warum hält Buffett das Black-Scholes Modell für unzureichend?

In seinem Shareholder Letter von 2008 geht Buffett auch darauf ein. Seiner Meinung nach führt das Black-Scholes Modell bei sehr langlaufenden Kontrakten zu absurden Bewertungen. Ein Fakt, der Black und Scholes durchaus bewusst war, den aber heute kaum jemand beachtet.

Buffett rechnet dazu ein hyphotetisches Extrembeispiel vor. Und zwar geht er von einer Put-Option über eine Milliarde Dollar auf den S&P 500 aus, mit einem Basispreis von 903 Punkten (Indexstand Ende 2008) und einer Laufzeit von 100 Jahren. Für einen solchen Kontrakt würde man, berechnet nach dem Black-Scholes Modell, eine Optionsprämie von 2,5 Mio. Dollar erhalten.

Um einzuschätzen, ob diese Prämie angemessen ist, muss man einschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der S&P 500 in einem Jahrhundert niedriger stehen wird als heute. Zwei Fakten sprechen dafür, dass der S&P 500 in 100 Jahren höher stehen wird als heute. Erstens sorgt bereits eine Inflation von nur 2% p.a. dafür, dass ein heutiger Dollar dann nur noch 14 Cent wert sein wird. Aber noch wichtiger ist, dass ein Jahrhundert lang einbehaltene Gewinne der Unternehmen im Index den Wert dieser Unternehmen stark vergrößern wird. Im 20. Jahrhundert hat sich der Dow Jones Industrial ver-175-facht, hauptsächlich aufgrund einbehaltener Unternehmensgewinne.

Dies in Betracht gezogen, ergibt laut Buffett eine Wahrscheinlichkeit von deutlich unter 1%, dass der S&P in 100 Jahren niedriger steht als jetzt. Aber nimmt man diese 1% Wahrscheinlichkeit an, und außerdem, dass der Index dann um 50% unter dem heutigen Wert steht, in den anderen 99% der Fälle steht der Index höher als heute und es wird keine Zahlung am Laufzeitende fällig. Gewichtet man die jeweils zu leistenden Zahlungen mit den dafür angenommenen Wahrscheinlichkeiten, müsste man die erhaltene Prämie von 2,5 Mio. $ nur zu 0,7% p.a. anlegen, um im Mittel bei Null herauszukommen. Wer würde nicht gerne einen Kredit über 100 Jahre zu einem Zinssatz zu 0,7% aufnehmen?

Was würde das Szenario im schlimmsten Fall ergeben? Nehmen wir an, der S&P würde in 100 Jahren auf NULL gefallen sein. Dann müsste man die erhaltene Prämie zu 6,7% anlegen, um die 1 Mrd. zu erwirtschaften, die man dann zahlen müsste. Also ein 100-Jahre Kredit zu einem Zinssatz von 6,7% im nahezu ausgeschlossenen Extremfall. Nicht gerade überteuert.

Offensichtlich sind entweder Buffetts Annahmen total verrückt oder die Black-Scholes Formel ergibt unzureichende Bewertungen, wenn sie auf langlaufende Optionen angewendet wird.

Fazit

Ich hoffe ich konnte damit die Vorgehensweise des “Derivate-Spekulanten” Buffett etwas beleuchten. Bei näherer Betrachtung scheinen seine Derivate bei weitem nicht so risikoreich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Schade ist in diesem Zusammenhang, dass angesehene Wirtschaftsblätter sich offensichtlich nicht mit diesem Thema beschäftigt haben, und es nicht einmal für nötig gehalten haben, Buffetts Ausführungen in seinem Shareholder Letter zu diesem Thema zu lesen, bevor sie Artikel zu den Verlusten von Berkshire Hathaway im Zusammenhang mit Optionsgeschäften veröffentlichen.

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Kommentare [7]

  1. — Sir Mike · 14. November 2011, 12:20 · #

    Vielen Dank für die ausführliche Ausarbeitung und Darlegung, die wirklich überzeugend ist. Bezogen auf Warren Buffetts Anlagen sind real aber keine 100 Jahre Laufzeit vereinbart, sondern “nur” Laufzeiten bis 2019/2018. Die Wahrscheinlichkeit, dass der S&P500 bis dahin ggü. dem Stand von Ende 2008, der Basis von Buffetts Engagements, gefallen sein wird, ist damit signifikant höher. Das Laufzeitende ist ja Stichtagsbezogen und das kann eben bei den hohen Volatilitäten, die wir im vergangenen Jahrzehnt und insbesondere auch wieder in diesem Sommer erlebt haben, zu Einbrüchen von 40 oder 50% führen. Wenn man sich nun die Entwicklung der Indizes in den letzten 10 Jahren ansieht, kommt man bestenfalls auf eine Seitwärtsbewegung – trotz einbehaltener Gewinne. Hier haben die Banken natürlich einen maßgeblichen Einfluss mit ihrer erheblich negativen Performance.

    Bezogen auf den Value-Ansatz, der ja von langfristig ansteigenden Werten und damit Kursen ausgeht, sind stichtagsbezogene Indexwetten eine Abkehr!

    Wie in Deinem Artikel dargelegt, geht es Buffett wohl aber nicht primär um die Indexwetten selbst, sondern (auch) darum, billige Liquidität zu erhalten, die er gewinnbringend(er) investieren kann. Unter diesem Aspekt könnte man die Indexwetten als relativ risikoarmes Finanzierungsinstrument ansehen.

    Die aktuell ausgewiesenen Berwertungsverluste treten auch nicht dauerhaft auf, sondern sind ebenfalls stichtagsbezogen. Fällt der S&P500, muss weiter abgewertet und Verluste ausgewiesen werden; bleibt der S&P500 konstant, ergibt sich kein Bewertungsunterschied – steigt er an, würden sogar Bewertungsgewinne/-aufschläge anfallen und den inneren Wert von Berkshire Hathaway anheben.

    Den Gedanken von Buffett kann ich – dank Deiner Ausführungen – gut nachvollziehen. Und ich sehe sein Engagement nun etwas weniger kritisch. Was ihm vermutlich ziemlich egal ist. ;-)

  2. — David · 15. November 2011, 15:04 · #

    Ja find ich auch, sehr gut ausgearbeitet. Danke :-) Sag mal kennst du dich in den Aktionärsbriefen von Buffett aus? Vielleicht kannst du mir ja einen Tip gegeben, wo ich Gedankengänge zum Thema Kapitalkostenberechnung und oder CAPM usw. finde.

    Vielen Dank ;-)

  3. Investment-Analyse · 15. November 2011, 15:26 · #

    vielen Dank für euer Lob!

    Mit den Aktionärsbriefen kann ich dir leider nicht weiterhelfen David. Ich habe sie zwar alle gelesen, aber irgendwie vergisst man leider sehr schnell, wo was stand.

    Aber: du hast mich gerade auf eine sehr gute Idee gebracht. Ich werde die Briefe nochmal lesen (was ich sowieso schon lange mal machen wollte) und zu jedem eine kurze Zusammenfassung schreiben. Das wird allerdings wohl einige Zeit in Anspruch nehmen.

  4. Anton · 29. March 2012, 15:17 · #

    Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung! Im Gegensatz zu vielen Kleinanlegern versteht Buffett eben relativ genau was er tut und wird nicht etwa im Rahmen eines Swap über den anfägnlichen negativen Barwert getäuscht…

    http://www.slb-law.de/de/aktuelles/53-liquid-swap-deutsche-bank-rechtsanwalt-urteil.html

    Viele Grüße, A.

  5. — Franz · 20. April 2012, 10:18 · #

    Da Warren Buffett nur die “garantierten” Gewinne als Rechnungsgrundlage verwendet, rechnet er mit dem Zinssatz für langlaufende US-Staatsanleihen. Er berücksichtigt also allfälliges Risiko in der Gewinnschätzung und nicht in den Kapitalkosten. Läuft mathematisch aufs gleiche raus.

    Quelle: Aktionärsbrief 2000

  6. 321GleichReich · 3. March 2014, 20:11 · #

    Hallo Stefan,

    dies ist ein sehr schöner Artikel. Weißt du, ob man als Kleinanleger genau solche Put-Optionen auch bekommen kann? Ich habe ja den Verdacht, dass das schwierig sein könnte, denn wer weiß schon, ob ich zwischen 2019 und 2028 zahlungsfähig sein werden ;)

    Viele Grüße

  7. Stefan Mohr · 3. March 2014, 21:23 · #

    Ja, du kannst als Kleinanleger (mit dem richtigen Broker) auch Optionen schreiben.
    Aber natürlich musst du eine Margin hinterlegen um sicherzustellen, dass du die Option auch bedienen kannst. Ob du genau solche Put-Optionen schreiben kannst, wird wohl davon abhängen, ob du jemanden findest, der genau diese Option kaufen will.

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