Die Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere befinden sich auf einem historischen Tief. Aktien sind daher, auch wenn die Bewertungen im historischen Maßstab nicht mehr günstig, immer noch sehr attraktiv. Es wird immer wieder empfohlen, gerade jetzt Aktien zu kaufen, weil man doch keine Alternative hat. Was sich auf den ersten Blick logisch anhört, ist in meinen Augen recht risikoreich.
Aktien gegenüber Anleihen deutlich unterbewertet?
Aktien wurden im historischen Durchschnitt mit etwa dem 15-fachen der Unternehmensgewinne gehandelt. Natürlich mal billiger, mal teurer. Und das heißt auch nicht, dass für jedes Unternehmen ein KGV von 15 fair ist, schließlich kommt es auch darauf an, ob Gewinne zukünftig steigen oder fallen. Trotzdem könnte man diesen Bewertungsmaßstab als sehr grobe Daumenregel für die faire Bewertung von Aktien nehmen.
Die Gewinne von Unternehmen bestimmen letztendlich auf lange Sicht die Rendite eines Aktionärs. Änderungen des Bewertungsniveaus am Aktienmarkt mögen kurz- und mittelfristig ebenfalls relevant sein, langfristig verschwindet ihr Effekt jedoch. Wenn man also sagt, dass ein KGV von 15 fair ist, sagt man eigentlich, dass eine Rendite von 1/15 = 6,67% für Aktien fair ist.
Aber muss eine Rendite am Aktienmarkt von 6,67% für immer fair sein? Letztendlich hängt die Attraktivität einer Rendite auch immer davon ab, welche Alternativen man hat.
Und da kommen nun die Zinsen auf Anleihen ins Spiel. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld mit einer Rendite für 10-jährige Bundesanleihen von 1,6%, scheinen 6,67% Aktienrendite doch extrem attraktiv. Was, wenn man gute Aktien nur zu einem KGV von 20 kaufen kann? Kein Problem, auch 5% Rendite scheinen in Anbetracht der Alternativen bei Anleihen sehr attraktiv. Selbst ein KGV von 30, also 3,33% Rendite könnte man noch in Betracht ziehen.
Plötzlich ist also ein KGV von 30 statt 15 fair. Schöne neue Welt, plötzlich sind Aktien doppelt so viel wert wie vorher. Also kaufen – mit diesem Wissen ist der Aktienmarkt gnadenlos unterbewertet!
oder Anleihen gegenüber Aktien deutlich überbewertet?
Natürlich könnte man das auch anders sehen. Der Renditeunterschied zwischen Aktien und Anleihen ist tatsächlich überdurchschittlich hoch. Aber statt einer Unterbewertung von Aktien könnte das auch an einer Überbewertung von Anleihen liegen. Was ist denn wahrscheinlicher, wenn die Renditen von Anleihen ins bodenlose fallen (bzw. die Anleihenkurse stark steigen)? Mir drängt sich da doch der Verdacht auf, dass Anleihen überbewertet sind.
Warum sind denn die Anleihenzinsen überhaupt so niedrig? Vielleicht, weil der Markt sehr niedrige Inflation annimmt? Für alle die es noch nicht gemerkt haben: zinsmäßig leben wir leider in einer Planwirtschaft. Im großen und Ganzen werden die Zinsen von den Zentralbanken vorgegeben (oder manipuliert könnte man auch sagen). Den Markt können wir an dieser Stelle vergessen!
Anleihen laufen begrenzt, Aktien unbegrenzt
Jetzt stecken wir aber in einem Dilemma. Anleihen sind also zu teuer. Aktien – naja, vielleicht noch akzeptabel, aber wenn sie noch teurer werden? Dann sind Anleihen und Aktien zu teuer. Also Bargeld oder Gold horten, die gar keine Rendite abwerfen? Auch nicht das wahre. Also weiter Aktien kaufen solange die Rendite höher als die Anleihenrendite ist, wie niedrig das auch immer sein mag?
Das ist eine schwierige Entscheidung, aber eines würde ich dabei nicht unbeachtet lassen: Anleihen haben eine begrenzte Laufzeit, Aktien dagegen nicht. Kaufe ich also eine 1-jährige Anleihe mit extrem niedrigen Zinsen, dann tun mir steigende Zinsen nur wenig weh. Nach einem Jahr kann ich die Anleihe verkaufen und nach besseren Anlagemöglichkeiten Ausschau halten. Bei einer 10-jährigen Anleihe sieht es schon schlechter aus. Man hat sich dann für 10 Jahre auf niedrige Zinsen festgelegt. Steigen die Zinsen, bleibts dabei. Oder man verkauft die Anleihe, aber das wird nur mit hohen Kursverlusten möglich sein, das Ergebnis ist das gleiche. Aber wie sieht es bei Aktien aus? Kauft man eine Aktie zu einem KGV von 30 legt man sich für immer auf eine niedrige Rendite fest.
Natürlich könnten die Anleihenzinsen wieder steigen und die Aktienkurse hoch bleiben. Dann könnte man seine “für immer”-Entscheidung korrigieren. Aber auf diese Möglichkeit würde ich lieber nicht bauen, jeder andere wird das dann auch wollen…
Fazit: was tun?
Die Entscheidung, wie man denn nun sein Geld anlegen soll, wenn Anleihenzinsen extrem niedrig und Aktienkurse immer höher sind, ist zugegebenermaßen nicht einfach. Aber die Begründung, dass Aktien immer noch attraktiv sind, obwohl die Kurse hoch sind, weil ja die Anleihenzinsen so niedrig sind, halte ich doch für eine gewagte Annahme. Nicht Aktien sind billig, sondern Anleihen teuer…
Übrigens halte ich den Aktienmarkt nicht für gnadenlos überteuert. Wir haben sicher keine Verhältnisse wie Ende der 90er-Jahre. Aber statt auf Teufel komm raus alles in Aktien zu stecken, würde ich aktuell vielleicht doch eher in den sauren Apfel beißen und teilweise auf Cash setzen. Lieber niedrige Zinsen für ein paar Jahre, als sich mit zu teuren Aktien jahrelang auf eine sehr mittelmäßige Verzinsung festzulegen.
Oder natürlich, man wählt gezielt günstige Aktien aus. Auch in überbewerteten Märkten gibt es immer wieder unterbewertete Aktien. Nur diese zu finden ist leider auch nicht so einfach.
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