Die Wiwo-Goodwill-Panikmache – unternehmerisches vs. buchhalterisches Denken

22. September 2014 -  ,  -  Richard alias krankenhaus

Die Wirschaftswoche (Wiwo) ist eines der renomiertesten Magazine des deutschen Wirtschaftsjournalismus. Das Magazin bietet hochwertigen Artikel, Analysen und Reportagen. Was allerdings in der letzten Ausgabe (37/2014) in der für Privatinvestoren gedachten Rubrik „Geld & Börse“ veröffentlicht wurde (hier auch online zu lesen), ist schon bemerkenswert und sollte auf keinen Fall unkommentiert bleiben.

„Der 200-Milliarden-Euro-Bluff“ ist der Aufmacher auf der Titelseite der gedruckten Ausgabe. Über den angeblichen „Bluff“ wird der Leser nun über zehn Seiten aufgeklärt. Es geht um einen möglichen Abschreibungsbedarf von Firmenwerten in den DAX-Bilanzen (Goodwill). Laut Wiwo ist die Goodwill-Summe aller DAX-Konzerne von 2000 bis heute um 173 Prozent gestiegen. Es wird ein düsteres Bild gezeichnet. Die Rede ist von „Gemeinheiten“, „Gefahren“ und „Manipulationen“. Ein Vergleich zu den Ursachen der Finanzkrise wird gezogen. Dort hätte es genauso begonnen. Offenbar sind hier dunkle Mächte am Werk, um uns alle mit gefälschten Bilanzen zu betrügen. Abbildungen von Seifenblasen vor schwarzem Hintergrund flankieren den Text (Wiwo-Druckausgabe). Was hier suggeriert werden soll ist klar: „Achtung! Das Platzen der Blase steht kurz bevor!“

Nun drängen sich dem Leser ein paar Fragen auf: Droht nach der Finanzkrise nun die Goodwill-Finanzkrise? Ist der DAX inzwischen uninvestierbar geworden? Müssen wir uns jetzt alle in die Hosen machen? – Fangen wir von vorne an.

Der Goodwill in der Praxis

Es gibt einen lesenswerten Blog-Artikel von Daniel Koinegg zum Thema Goodwill im bargain-Magazin. Daniel zitiert die Goodwill-Definition aus den IFRS und beschreibt kurz wie der Impairment-Test ein Unternehmen in Cash Generating Units (CGU) zerlegt, um daraus einzeln Firmenwerte zu berechnen. Der Goodwill beschreibt danach die Synergieeffekte aus historischen Unternehmensübernahmen.

Wenn man sich das durchliest, beschleicht einen der Gedanke, dass die IFRS hier versucht, ein praktisches Problem im Nachhinein theoretisch zu rationalisieren. Die Praxis ist, dass bei Übernahmen fast immer mehr als Buchwert bezahlt wird. Das ist kein Skandal, so wie es uns die Wiwo weißmachen will, sondern es liegt in der simplen Tatsache begründet, dass innerer Wert und Buchwert quasi nie identisch sind. Der Buchwert bildet nicht den eigentlichen Ertragswert ab, weil zum Beispiel viele immaterielle Vermögensgegenstände schlecht oder gar nicht aktiviert werden können oder sogar dürfen.

Nun muss man irgendwie mit der Differenz zwischen Kaufpreis und Buchwert umgehen. Früher schrieb man die Differenz über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahre linear ab. Theoretisch könnte man die Differenz aber auch im Jahr der Übernahmen komplett abschreiben. Dagegen hätten die verantwortlichen Manager wohl einiges einzuwenden. Sie wollen auf Grund der Übernahme schließlich keine Verluste ausweisen müssen. Die IFRS belässt nun einfach die Differenz als sogenannten Goodwill mit jährlichem Impairment-Test in der Bilanz. Wie man es auch dreht und wendet, es bleibt ein buchhalterisches Problem. Wohin damit?

Was zählt ist der Cashflow

Wie bestimmt man den inneren Wert eines Unternehmens? Allgemein verbreitet und anerkannt ist es, die zukünftigen Free Cashflows abgezinst auf die Gegenwart zu addieren. Je nach DCF-Methode definieren sich diese Free Cashflows jeweils anders. Viele bekannte Value-Investoren verwenden einen Free Cashflow, den Warren Buffett auch als „Owners Earnings“ bezeichnet. Buffett definiert die Owners Earnings als das Cash, das der Eigenkapitalgeber dem Unternehmen wegnehmen könnte, ohne es in seiner Ertragskraft zu schädigen. Als einfache Formel schlägt er vor, die Owners Earnings aus dem Jahresüberschuss plus Abschreibungen minus ertragsherhaltendem Capex minus Veränderungen des Working Capitals zu berechnen. Man kann sich jetzt über marginale Einzelpositionen streiten, wie zum Beispiel gebuchte und tatsächlich liquiditätswirksame Zinszahlungen. Das spielt alles aber letztendlich keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Free Cashflows oder Owners Earnings unabhängig von den Abschreibungen sind. Und die beinhalten natürlich auch Impairment-Abschreibungen. Ob der Goodwill regelmäßig oder schlagartig über Impairments abgeschrieben wird, ist irrelevant. Der Free Cashflow – und damit der Unternehmenswert – ist davon in keiner Weise berührt!

Unternehmerisches versus buchhalterisches Denken

Nun wird der eine oder andere einwenden, dass das Abschreiben des Goodwills doch ein eindeutiges Zeichen für reduzierte zukünftige Free Cashflows sei. Wer so argumentiert, ähnlich wie es die Wiwo ihren Lesern suggeriert, der verwechselt Ursache und Wirkung. Der Unternehmenswert sinkt nicht, weil der Goodwill abgeschrieben wird. Der Unternehmenswert sinkt, weil sich die Aussichten auf zukünftige Free Cashflows reduziert haben. Die Goodwill-Abschreibung ist dann lediglich ein Symptom. Und das tritt natürlich auch erst zeitverzögert auf.

Der eben genannte Investor äußert sich in einem Video über den Kauf des britischen Schoko-Riegelherstellers Cadbury durch Kraft Foods. Man beachte die emotionale Aussage des Investors. „I feel poorer“ (Schon lustig, so etwas von einem Milliardär zu hören). Er sagt nicht: „ I’ll feel poorer when the goodwill will be written down.“ Denn er weiß genau, dass in dem Moment, in dem die Fehlinvestition stattfindet, auch das Kapital vernichtet wird. Er bewertet die aktuellen Aquisitionen seiner Firmen und denkt unternehmerisch (auch wenn das mangels ausreichender Informationen oft schwierig ist). Der Wiwo-Artikel hingegen ist eine Anleitung zum einfacheren, buchhalterischen Denken. Die Goodwill-Abschreibung können den Anteilseigner nach vielen Jahren noch „überraschen“. Die Wiwo suggeriert, dass der Aneilseigner sich dann zurecht betrogen fühlen darf. Kein guter Ansatz zum Investieren!

Über den Autor: Richard ist Mitte dreißig und von Beruf Ingenieur. Er beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Value Investing und hält Ausschau nach interessanten Nebenwerten und kleinen Firmen.

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