Wie groß sollte die Margin of Safety beim Kauf einer Aktie sein?

15. April 2013 -  ,  -  Stefan Mohr

Margin of Safety

Benjamin Graham brachte den Begriff Margin of Safety oder deutsch Sicherheitsmarge im Finanzbereich in seinem Buch Security Analysis zuerst auf. In The Intelligent Investor widmet er diesem Konzept dann sogar ein ganzes, überaus lesenswertes Kapitel.
Kurz gesagt ist die Margin of Safety der Unterschied zwischen Preis und Wert einer Aktie. Um gegen unvorhergesehene Entwicklungen und Fehler in der Bewertung gewappnet zu sein, sollte man ein Investment demnach nur mit einer Margin of Safety kaufen.
Am Anfang meiner Value-Investing-Zeit habe ich mich immer gefragt, welche Margin of Safety man anstreben sollte. 25%, lieber 40% oder gar 50%? Eine Antwort darauf habe ich nie gefunden, heute ist mir auch klar warum. Einfach weil es darauf keine einfache und eindeutige Antwort gibt. Trotzdem habe ich für mich eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort gefunden, auch wenn diese vielleicht etwas anders ausfällt als erwartet.

Grundsätzliche Übelegungen zum Konzept der Margin of Safety

Bei Anleihen sieht das Konzept der Margin of Safety etwas anders aus als bei Aktien. Hier geht es mehr darum sicherzustellen, dass die Anleihe samt Zinsen zurückgezahlt werden kann. Beispielsweise könnte man hier den Anteil der verwertbaren Vermögenswerte eines Unternehmens, welche die ausgegebenen Anleihen, Bankschulden u.ä. übersteigen als Margin of Safety ansehen. Oder man achtet darauf, dass die durchschnittlichen Erträge eines Unternehmens die zu leistenden Zinszahlungen deutlich übersteigen. So argumentiert Graham in Kapitel 20 des Intelligent Investor. Die Margin of Safety sollte bei einer Anleihe sehr groß sein, um ein Investment mit begrenzten Gewinnaussichten zumindest sehr sicher zu machen.

Das Konzept der Margin of Safety und Diversifikation gehören untrennbar zusammen.

Bei Aktien beschreibt die Margin of Safety dagegen den Unterschied zwischen Wert und Preis. Schätzt man beispielsweise den Wert einer Aktie auf 100 €, kann diese aber für 70 € kaufen, hat man die Aktie mit einer Margin of Safety von 30% erworben. Je größer die Margin of Safety, desto größer sind die Fehleinschätzungen, die man sich bei der Einschätzung des Wertes einer Aktie erlauben kann und desto kleiner ist die Gefahr, dass man bei weniger positiver Entwicklung des Geschäftes einen dauerhaften Kapitalverlust erleidet.

Wenn man eine Aktie mit einer Margin of Safety kauft, heißt das natürlich keinesfalls, dass man keine Verluste machen kann. Egal wie groß die Margin of Safety bei einem Kauf ist, jedes Investment kan in einem Totalverlust enden. Wenn man mit einer Margin of Safety kauft heißt das bloß, dass die langfristigen Gewinnchancen größer als die Verlustrisiken sind. Was nicht ausschließt, dass ein einzelnes Investment nicht trotzdem substanzielle Risiken beinhalten kann. Hier gibt es eine Verbindung zum Prinzip der Diversifikation. Stellt man ein diversifiziertes Portfolio aus Aktien zusammen, die man jeweils mit einer ausreichend großen Margin of Safety kauft, dann werden die Verlustrisiken für das Gesamtportfolio mit steigender Anzahl von Investments immer kleiner.
Diversifiziert man allerdings nur um der Diversifikation willen und fügt guten Investments solche ohne oder gar mit negativer Margin of Safety hinzu, dann vergrößert man nicht die Sicherheit des Gesamtportfolios, sondern verringert diese.
Das Konzept der Margin of Safety und Diversifikation gehören also untrennbar zusammen.

Wie groß die Margin of Safety sein sollte

Um die Frage zu beantworten, wie groß eine Margin of Safety nun sein sollte, ist es denke ich sinnvoll, sich zunächst einige Gedanken zur Bestimmung des Wertes einer Aktie zu machen, da von diesem bestimmten Wert ja letztendlich die Größe der Margin of Safety abhängt, die sich bei einem Kurs ergibt.
Die Frage zu klären, wie man den Wert einer Aktie bestimmt, würde diesen Artikel bei weitem sprengen. Klar ist aber eines: um den Wert einer Aktie genau vorherzusagen, ist es nötig, die Zukunft präzise vorherzusagen, was kaum möglich sein dürfte. Der Wert einer Aktie kann also nur mehr oder weniger gut geschätzt werden. Wenn aber der Wert der Aktie nur eine Schätzung ist, dann ist auch die Margin of Safety die sich bei einem bestimmten Preis ergibt nur eine Schätzung. Klar, dazu ist sie ja auch da, um die Folgen der Unsicherheit unserer Schätzung möglichst gering zu machen. Das Problem ist nun aber folgendes: wenn wir den Wert einer Aktie sehr konservativ schätzen, dann erhalten wir eine kleine Margin of Safety. Wenn wir den Wert dagegen recht optimistisch schätzen, eine größere. Wie groß die Margin of Safety beim Kauf einer Aktie nun sein sollte, hängt also auch in hohem Maße davon ab, wie optimistisch wir bei der Schätzung des Unternehmenswertes sind. Um eine Aussage treffen zu können, ob eine Margin of Safety von 20% nun groß genug oder eine von 30% zu klein ist, sollte zunächst einmal die Bestimmung des Unternehmenswertes kritisch hinterfragt werden.

Wie groß die Margin of Safety sein sollte, hängt von der Sicherheit der Prognose ab und den Folgen, wenn diese nicht eintrifft.

Das Problem bei der Bestimmung eines Unternehmenswertes ist vor allem auch, dass es dafür nur im Rückblick einen “richtigen” Wert gibt. Bestimmt man dagegen aus Schätzungen über die Zukunft des Wert eines Unternehmens, legt man dem in der Regel ein bestimmtes Szenario zugrunde. Beispielsweise könnte man sagen, ich gehe davon aus, dass Unternehmen X seine Marktstellung behält und bei leichtem Umsatzwachstum in Zukunft etwa konstante Gewinnmargen erzielt. Daraus einen ungefähren Unternehmenswert abzuleiten, ist nicht übermäßig kompliziert. Was aber ist, wenn unsere Annahme der Beibehaltung der Marktstellung nicht zutrifft? Bewahrt uns eine Margin of Safety von beispielsweise 30% dann vor einem dauerhaften Kapitalverlust? Das kann man ohne weitere Informationen nicht einschätzen, aber es zeigt folgendes: um die Frage zu beantworten, welche Margin of Safety man verlangen sollte, sollte man sich die Frage stellen, wie wahrscheinlich es ist, dass die eigene Prognose nicht eintrifft und was dann die Folgen für den Unternehmenswert wären.

Nur all zu oft wird leider ein Vorgehen praktiziert, welches sich mit der Frage wie wahrscheinlich es ist, dass die eigene Prognose nicht eintrifft und was dann die Folgen wären, überhaupt nicht beschäftigt. Da wird ein Unternehmen “analysiert”, Wachstumsraten von 5% pro Jahr angenommen, detaillierte DCF-Rechnungen mit Umsatz- und Margenschätzungen für die nächsten 5-10 Jahre erstellt und daraus ein Unternehmenswert berechnet. Hinterher wird der Wert dann zum Kauf empfohlen, mit dem Hinweis, dass man doch eine Margin of Safety von 30% hätte.
Was passiert, wenn sich die Margen halbieren, die Umsätze fallen statt wachsen oder wenigstens eine Begründung, warum sie das wahrscheinlich nicht werden, sucht man vergebens.

meine Vorgehensweise: Wohlfühlpreis statt Unternehmenswert

Generell besteht die Schwierigkeit, dass die Antwort auf die Frage, wie viel eine Aktie wert sein könnte, noch nichts darüber aussagt, mit welcher Wahrscheinlichkeit man daneben liegt und wie sich der Wert des Unternehmens dann verändert. Blendet man die zweite Frage aber aus, kann beim Kauf einer Aktie trotz einer vermeintlichen Margin of Safety ein so großes Risiko eines dauerhaften Kapitalverlustes bestehen, dass selbst die Gewinnchancen des Investments diese nicht aufwiegen.

Die Grenzen der eigenen Prognose zu kennen ist wichtiger, als deren Genauigkeit.

Ich versuche diese Schwierigkeit zu meistern, indem ich mir nicht primär die Frage stelle, was ein Unternehmen wahrscheinlich wert ist, sondern bei welchem Preis ich mich wohl fühlen würde, eine bestimmte Aktie zu kaufen – nennen wir ihn “Wohlfühlpreis”. Was erstmal als nahezu das gleiche scheint, ist bei genauerer Betrachtung nämlich ein großer Unterschied. Zur Bestimmung des Unternehmenswertes braucht man genaue Informationen und Prognosen, zur Bestimmung eines Wohlfühlpreises dagegen nicht. Man muss nur wissen, was man eben nicht einschätzen kann und dann entsprechend vorsichtige Schätzungen vornehmen.

Wenn ich beispielsweise die Ertragskraft eines Unternehmens nur sehr schwer schätzen kann, dann heißt das in der Regel für mich, dass der Net Current Asset Value ein guter Wert sein könnte, bei dem ich mich wohl damit fühlen könnte, eine Aktie zu kaufen. Wenn ich dann sage, ich würde diese Aktie zum Net Current Asset Value kaufen, bedeutet das nicht, dass ich behaupten würde, dass diese Aktie so viel wert ist. Es heißt nur, dass mir wichtige Informationen fehlen, um den Wert der Aktie einigermaßen sicher zu schätzen, aber meine einen Wert bestimmen zu können, den diese Aktie meiner Meinung nach mit recht hoher Wahrscheinlichkeit mindestens hat. Jemand der sich mit dem Unternehmen besser auskennt als ich, könnte in diesem Fall vielleicht eine genauere Schätzung abgeben und würde die Aktie auch zu einem höheren Preis kaufen. Aber es ist eben nicht nur wichtig, den Wert eines Unternehmens möglichst genau schätzen zu können, sondern auch einzuschätzen, wie sicher oder unsicher die eigene Prognose ist. Ich würde sogar behaupten, dass die Wichtigkeit von ersterem für den Erfolg eines Investors im Allgemeinen über-, zweiteres dagegen unterschätzt wird.

Ich pflege schon seit Jahren eine Excel-Tabelle, in der ich jede Aktie eintrage, bei der ich für mich einen Kurs festlegen kann, ab dem ich bereit wäre die Aktie zu kaufen. Das bezeichne ich für mich als “Wert” der Aktie, wohl wissend, dass das eher ein Wert für mich selbst ist, bei dem gegenüber dem “wahren” Wert, den ich nicht wirklich beziffern kann, bereits eine Margin of Safety eingebaut ist. Deren genaue Größe ich naturgemäß dann auch nicht kenne. Aber dieses Vorgehen bewahrt mich davor, den Wert einer Aktie zu optimistisch zu schätzen und sie dann für billig zu halten, nur weil der Kurs 20 oder 30% unter meiner Schätzung liegt.

Mal ein paar Beispiele, was ich so in meiner Tabelle stehen habe:

  • A.S. Création Tapeten: 29 €
    (Das ist etwa der Buchwert)
  • Münchener Rück: 140 €
    (Das ist etwa 10x meine geschätzte Ertragskraft)
  • Renault: 55€
    (Das ist etwa der Börsenwert des Nissan-Anteils von Renault)
  • China Specialty Glass: 3,50€
    (Das ist etwa der Net Current Asset Value oder der 3-fache Gewinn 2011)

Wie man sieht, lege ich hier je nach Unternehmen sehr unterschiedliche Maßstäbe an. Je weniger ich über ein Unternehmen weiß und je unsicherer die Zukunftsaussichten, desto konservativer bin ich bei der Festlegung des Wertes den ich zahlen würde. Die Münchener Rück würde ich bei einem KGV von 10 für günstig genug für einen Einstieg halten. China Specialty Glass dagegen für äußerst risikoreich.

Neben meinem “Wohlfühlpreis” und einigen grundlegenden Zahlen, wie Buchwert, geschätzte Ertragskraft, Net Current Asset Value oder Netto Cash/Verschuldung, steht dort übrigens auch eine Margin of Safety. Bezogen natürlich auf meinen Wohlfühlpreis.
Wie groß muss diese Margin of Safety dann für mich sein, dass ich kaufe? Natürlich 0%. Sobald mein Wohlfühlpreis erreicht oder unterschritten wird, würde ich kaufen. Vorrausgesetzt natürlich, ich habe Geld zum investieren verfügbar. Wenn ich 10 Möglichkeiten habe, bei denen der aktuelle Kurs weit unter meinem Wohlfühlpreis liegt, werde ich in eine, die nur knapp darunter liegt natürlich eher kein Geld stecken.
So richtig enthusiastisch werde ich natürlich noch nicht, wenn eine Aktie etwa zu meinem Wohlfühlpreis zu haben ist. Schließlich hieße das, dass ich die Aktie wieder verkaufen müsste, wenn sie nur wenig im Preis steigt. Wenn der Preis dann aber 30, 40 oder gar 50% unter meinen Wohlfühlpreis fällt, dann werde auch ich gierig…

Zusammenfassung

Wie groß die Margin of Safety beim Kauf einer Aktie sein sollte, hängt stark von der Situation ab und welche Unsicherheiten bei der Bestimmung des Unternehmenswertes bestehen.

Mit dem Wert einer Aktie beschäftige ich mich selten direkt, stattdessen lieber mit der Frage, bei welchem Kurs ich mich wohlfühlen würde, eine Aktie zu kaufen. Von Fehleinschätzungen abgesehen, liegt dieser Wohlfühlpreis niemals über dem Wert der Aktie. Je nachdem wie viel oder wenig ich weiß oder wie groß die Unsicherheiten sind, jedoch mehr oder weniger weit darunter. Dieses Denkmodell zwingt mich, nicht nur über den wahrscheinlichsten Fall nachzudenken und auszuwerten was ich weiß, sondern auch darüber, was schief gehen könnte und was ich nicht weiß.

Dieses Denkmodell ist sicher nicht der heilige Gral, funktioniert aber für mich recht gut. Es gibt sicher viele andere sinnvolle Vorgehensweisen, die ebenfalls funktionieren können. Letztendlich tickt jeder anders und muss für sich die passende Vorgehensweise finden…

Wie geht ihr bei der Bestimmung des Preises vor, den ihr für eine Aktie zahlen würdet? Was ist für euch der Unternehmenswert? Woran orientiert ihr euch? Und wie groß muss die Margin of Safety sein? Ich freue mich auf eure Ideen!

Anzeige:
Value investing made easy